Es wird die falsche Karte eingeführt!
Stellungnahme zur Einführung der „Bezahlkarte“ und weiteren Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
In Deutschland unterliegen Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) erhalten, bereits seit Einführung des so genannten „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ im Februar 2024 verlängerten Leistungseinschränkungen in der Gesundheitsversorgung. Nun sollen sie durch eine weitere Änderung des AsylbLG zudem mit einer Bezahlkarte gegängelt werden, die ihnen unter Anderem das Abheben von Bargeld oberhalb einer festgelegten Grenze unmöglich macht.
Das stellt eine massive Teilhabeeinschränkung und Diskriminierung von Asylbewerber*innen dar.
Als Begründung für die Einführung der Bezahlkarte werden populistische Narrative genutzt, wie Geflüchtete würden Unsummen an Sozialleistungen in ihre Herkunftsländer überweisen. Belastbare Zahlen liegen hierzu nicht vor. Einige Städte und Kommunen haben mit der Einführung der Bezahlkarte bereits begonnen; bis zum Spätsommer 2024 könnten bundesweit alle Geflüchteten eine Bezahlkarte anstatt Bargeld oder Überweisungen der Leistungen auf ihr Konto erhalten. Der Gesetzgeber überlässt die Entscheidung über die tatsächliche Einführung den jeweiligen Leistungsbehörden. Zu erwarten ist dabei, dass sich Landkreise und Kommunen, die das AsylbLG bereits besonders restriktiv und diskriminierend anwenden, für eine verschärfte Auslegung des Bezahlkartensystems entscheiden werden. Sie können beispielsweise festlegen, die Nutzung der Karte regional zu begrenzen und nur Einkaufsmöglichkeiten bei bestimmten Handelsunternehmen zu akzeptieren. In Deutschland, einem Land, das noch in großen Teilen auf Bargeldnutzung fußt, bedeutet das eine Eingrenzung des Konsumverhaltens. Flohmärkte, der Einkauf in Läden ohne Kartenzahlung und Privatkäufe werden quasi unmöglich, genauso wie die Partizipation an Unternehmungen, die außerhalb des zugelassenen Postleitzahl-Bereichs liegen. Handyverträge abschließen, Mietzahlungen tätigen oder das Abonnements von ÖPNV-Tickets können, je nach kommunaler Regelung, ebenfalls schwierig oder unmöglich werden, da Überweisungen eingeschränkt werden können.
Dies führt zu einer weiteren Prekarisierung, Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe, Integrationshindernissen und Armut. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass diese sozialen Determinanten krank machen.
Zuletzt hatte sich im Februar mit der Verabschiedung des „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ der Bezugszeitraum der eingeschränkten Gesundheits- und Sozialleistungen für Asylbewerber*innen auf 36 Monate verdoppelt. So lange müssen Geflüchtete inzwischen warten, um Leistungen der Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen zu können. In der Zwischenzeit haben sie nur Zugang zu eingeschränkten Leistungen. Erkrankungen werden so später erkannt und behandelt, akute Krankheitsproblematiken chronifizieren zum Teil. Schwere Krankheitsverläufe, vermehrte Notaufnahmebesuche, mehr und längere Krankenhausaufenthalte und aufwändigere Diagnostik und Therapien werden die Konsequenz sein. Es ist bekannt, dass illegalisierte, geflüchtete und migrierte Menschen sowie Menschen ohne Krankenversicherung, egal welcher Generation, schon im Moment schlechter gesundheitlich versorgt und betroffen von Armut sind. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit schwerer zu erkranken und früher zu versterben. Zusätzlich führt dies zu einer Zunahme an Verwaltungsaufwand und damit einhergehenden Kosten für die Behörden. Auch für ein Gesundheitssystem, das spätestens seit der Coronapandemie ächzt, wird dies zu einer weiteren Qualitätsverschlechterung und Unterversorgung für alle führen.
Die politische Unerwünschtheit einer Verbesserung der gesundheitlichen Situation geflüchteter Menschen und das freimütige Annehmen und Vorantreiben menschenverachtender und rassistischer Maßnahmen gegen sie, mit dem Ziel rechte Politik und Wahlkampfrhetorik zu befrieden, entsetzt uns. Während uns jahrelang von staatlicher und behördlicher Seite versichert wurde, über nicht genug finanzielle Mittel zu verfügen, um die Situation verbessern zu können, melden Städte und Landkreise sich nun freiwillig und kurzsichtig für Testläufe mit Bezahlkarten. Und im nächsten Atemzug wird von Stimmen der CDU und FDP die Frage aufgeworfen, was gegen die Einführung der Bezahlkarte auch für andere Personengruppen spricht, die staatliche Leistungen beziehen. Die systematische Aushebelung von Menschen- und Grundrechten verurteilen wir scharf.
Medibüros und Medinetze im ganzen Bundesgebiet setzen sich seit über zehn Jahren für die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) für Alle ein, um die faktische Gesundheitsversorgung von Asylbewerber*innen endlich an ihren menschenrechtlichen Anspruch anzupassen. Mit den diesjährigen Änderungen des AsylbLG sind stattdessen ausschließlich Rückschritte und Verschlechterungen beschlossen worden.
Wir finden: Es wurde die falsche Karte eingeführt! Für die bundesweite Einführung einer obligatorischen elektronischen Gesundheitskarte (eGK) gibt es bereits funktionierende Vorbilder und belastbare Evaluationen, die eine verbesserte Versorgung sowie entstehende Kosteneinsparungen für die Länder belegen. Beispielhaft war dies bereits bei der schnellen und unbürokratischen Handhabe für Ukrainer*innen, die bereits nach wenigen Monaten eine Chipkarte und vollen Leistungsanspruch erhielten, sichtbar. Die Bezahlkarte „gegen“ Geflüchtete verschärft hingegen Diskriminierung, schafft einen enormen behördlichen Mehraufwand und wird Verwaltungsprozesse chaotisieren.
Die unterzeichnenden Medinetze und Medibüros fordern weiterhin die alternativlose Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und der damit einhergehenden diskriminierenden Einschränkungen für Asylsuchende, sowie Gesundheitsleistungen für Geflüchtete wie im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gesetzlich zu verankern.
Wir fordern die Rücknahme der Bezahlkarten und ein absolutes Absehen weiterer Sanktionsmaßnahmen gegen geflüchtete Menschen und Menschen, die auf Transferleistungen aus welchen Gründen auch immer, angewiesen sind. Wir fordern ein klares Benennen rassistischer und rechtspopulistischer Narrative und eine deutliche Abgrenzung davon.
Rechte Politik und Meinungsmache wird durch Gesetze und Maßnahmen, die sich gegen Geflüchtete oder arme Menschen richten, nicht befriedet, sondern weiter befeuert.
Wir fordern ein solidarisches Handeln für und mit Menschen, die von Bezahlkarten betroffen sein werden: tauscht Gutscheine, die mit der Bezahlkarte erworben werden können, gegen Bargeld! Organisiert sichere Orte und überlegt euch gemeinsam Strategien, um die Bezahlkarte und ihre falschen Versprechungen zu widerlegen und auszuhöhlen!
Mitgezeichnet von:
Medinetz Magdeburg e.V.
Medinetz Halle/Saale e.V.
Medinetz Dresden e.V.
Medinetz Rostock e.V.
Medinetz Chemnitz e.V.
Medinetz Leipzig e.V.
Medinetz Jena e.V.